Vereine als Versuchslabor – Boden pflügen für Veränderung

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Alexander Erler
12. August 2024

In den vergangenen 25 Jahren habe ich in Wattens zehn Initiativen mitgegründet bzw. aufgebaut. Und erkannt, dass Vereine so viel mehr sein können als auf den ersten Blick gedacht.

Es begann in der Pfarre, Ende der 1990er. Als frischgebackener Teenager wurde ich Ministranten-Gruppenleiter. Diese neue Rolle zündete einen Funken, ich entwickelte eine Leidenschaft für das Organisieren von Gruppen und Projekten.

In den 2000ern wurde es kulturell und künstlerisch. Ursprünglich als „Eintagsfliege“ gedacht, entwickelt sich das Wiesenrock Festival zu einem Pionier für nachhaltiges Veranstalten. Es folgte der Kulturverein Grammophon, der in einem alten Gasthaussaal das regionale Kultur- und Gemeinschaftshaus Neuwirt betreibt. Mit dem Kunstraum Wattenbach folgte eine Initiative, die sich mit gestalterischer Ortsentwicklung beschäftigt.

Für lokale Nachhaltigkeit riefen wir die Initiative Spinnradl ins Leben, die im Sinne einer „Essbaren Gemeinde“ auf einer öffentlichen Grünfläche ein Hügelbeet nach Permakultur-Prinzipien hegt und pflegt. Bei der FoodCoop Feinspitz wiederum beziehen rund 50 Haushalte wertvolle Lebensmitteln von Produzierenden aus der Region. Der „Radfahrclub Wattens 1900“ war eine Wiedergründung nach ziemlich genau 120 Jahren, diesmal mit dem Ziel einer radfreundlichen Gemeinde.

Es wurde auch politisch. Aus einem lokalen Anlass heraus enstand die Initiative wattenswandeln, die 2021 öffentlich Kritik an der damaligen politischen Praxis übte und nach anderen, partizipativen Wegen für Gemeindepolitik suchte. Es ging über in die parteilose Liste neu. Wir traten ein Jahr später zur Gemeinderatswahl an, schafften auf Anhieb sieben von neunzehn Mandaten und das Amt des Bürgermeisters. Seitdem bin ich auch Gemeinderat in Wattens.

In all diesen Stationen spielten partizipative Elemente eine wichtige Rolle. Die für mich wichtigste Station, bei der ich am meisten darüber gelernt habe und nach wie vor lerne, ist der Kulturverein Grammophon.

Vom Schulhof ins Gasthaus

Mit Grammophon haben wir in den vergangenen 15 Jahren über 300 Veranstaltungen organisiert und dabei rund 30 Schauplätze in Wattens bespielt. Unser bedeutendstes Projekt war das Wiesenrock Festival, das zehn Mal stattfand, populäre Bands wie Bilderbuch, Wanda oder Voodoo Jürgens nach Wattens brachte und für seine konsequent nachhaltige Ausrichtung mehrfach ausgezeichnet wurde. Das Rückgrat von Wiesenrock waren seine vielen Freiwilligen, bis zu 120 waren am Festivalwochenende im Einsatz.

Seit 2020 betreiben wir im geschichtsträchtigen Saal vom Gasthof Neuwirt in Wattens ein regionales Kultur- und Gemeinschaftshaus. Dieser Ort war über viele Jahrzehnte ein wichtiger Knotenpunkt im Dorfleben. Der Saal wurde 1909 errichtet und beherbergte unzählige Versammlungen und Feste. Sogar eine venezianische Gondelfahrt auf dem angrenzenden Wattenbach war darunter. In den 1950ern brannte der Dachstuhl ab, der Saal wurde in seiner heutigen Form wiederrichtet. Ab den späten 1980er Jahren verlor er an Bedeutung, ehe er gut dreißig Jahre später durch Grammophon wieder ins Dorf zurückkehrte.

Im Kultur- und Gemeinschaftshaus engagieren sich jährlich bis zu 80 Freiwillige und finden bis zu 60 Grammophon-Veranstaltungen statt, darüber hinaus Kurse und gemeinschaftliche Aktivitäten. Alles zusammen genommen, wird der Saal heute an 200 Tagen im Jahr genutzt.

Da kommt was

Dass sich so einiges ändern muss, das spüren wohl viele. Ein Verein wie Grammophon wird Wattens nicht verändern, und schon gar nicht die große weite Welt. Echte Veränderung passiert woanders, die wirkmächtigen Hebel sind woanders.

Aber: Ein Verein kann einen Boden bereiten für Veränderung. Er kann auf lokaler Ebene Verbundenheit erzeugen, Köpfe und Herzen empfänglich machen für Veränderung. Er kann ein Mittel sein gegen die weit verbreitete Mangelerscheinung der fehlenden Vorstellungskraft. Ein Verein kann ein Versuchslabor für die Zukunft sein, in dem wir im Kleinen Dinge üben, die wir dann einbringen können, wenn wir sie im Großen einmal brauchen. In einem Verein können wir neue Denk- und Herangehensweisen testen für ein „schöpferisches Wir“.

So ein Versuchslabor Verein entsteht nicht von selbst. Was ich dazu gelernt habe, möchte ich im Folgenden über sieben „Einrichtungstipps“ teilen.

Tipp 1

Der Weg ist das Ziel

Wie entscheiden wir über Veränderung? Lange habe ich als Grammophon-Obmann viele Entscheidungen auf dem kurzen Weg getroffen: Ich setze mir etwas in den Kopf und setze es um. Nur um danach draufzukommen, dass Mitglieder die Entscheidung nicht so toll finden. Heute versuche ich, mehr vorauszuschauen, wen die Entscheidung berühren könnte und diese Personen entsprechend anzuhören und einzubinden. Damit kann nicht nur die Tragfähigkeit der Entscheidung erhöht, sondern vor allem der Entscheidungsweg trainiert werden.

Ich finde, dass zu oft und zu eng über fertige Ergebnisse und Lösungen geredet wird. Wir sollten uns mehr darüber austauschen, wie wir zu ihnen kommen. Wenn wir wollen, dass Menschen Entscheidungen mittragen und dafür einstehen, dann braucht es mehr Wege, die wir gemeinsam gehen.

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